Eigene Bedürfnisse erkennen: Vom Extrem zurück ins Gefühl

von | Zuletzt aktualisiert am 25.06.2025 | Selbstsabotage

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Du funktionierst. Immer in Bewegung, immer produktiv, aber innerlich spürst du eine leise Leere. Äußerlich erbringst du Leistung, doch tief in dir nagt eine unerklärliche Erschöpfung.

Kennst du das Gefühl, wenn dein Körper dir klare Signale sendet – Schmerz, Müdigkeit, Unmut – du sie aber als Schwäche abtust und einfach weitermachst?

Dieser Artikel ist keine Checkliste. Es ist meine Geschichte, wie ich durch Extreme wie einen unvorbereiteten Halbmarathon lernte, dass der Weg zu mir nicht über Leistung, sondern übers Fühlen führt. Ich zeige dir, wie du diesen Autopiloten abschaltest.

Eigene Bedürfnisse erkennen auf den Punkt

  • Dich ständig zu überrennen oder in Extreme zu verfallen, ist oft ein unbewusster Versuch, deine wahren Bedürfnisse nicht spüren zu müssen.
  • Die Ursache dafür ist meist eine erlernte Überlebensstrategie aus der Kindheit, bei der du gelernt hast, dass die Bedürfnisse anderer wichtiger sind als deine eigenen.
  • Der Weg zurück führt nicht über Druck, sondern über eine liebevolle und neugierige Selbsterforschung – du lernst dich selbst neu kennen.
  • Praktisch bedeutet das: Beobachte deine Muster ohne Urteil, lausche den Signalen deines Körpers und führe spielerische Experimente mit deinem Verhalten durch.
  • Deine Bedürfnisse zu erkennen und zu achten, ist kein Egoismus, sondern der fundamentalste Akt der Selbstachtung und die Basis für ein authentisches Leben.

Der Lärm der Leistung: Wie ich meine eigenen Signale komplett ignorierte

Es gab eine Zeit in meinem Leben, da funktionierte ich hauptsächlich im Autopiloten. Angetrieben von einem inneren Druck, immer mehr zu leisten, immer besser zu sein, verlor ich den Kontakt zu dem, was wirklich in mir vorging. Ich war ständig in Bewegung, aber innerlich stand ich still.

Viele kennen diese paradoxen Symptome: die bleierne Müdigkeit, die sich trotz acht Stunden Schlaf nicht vertreiben lässt. Oder die seltsame Grippe, die pünktlich am ersten Urlaubstag ausbricht, sobald das System endlich zur Ruhe kommt. Das sind keine Zufälle. Das sind die letzten Warnschüsse eines Körpers, der verzweifelt versucht, gehört zu werden.

Mein Weg, diese Signale zu übertönen, waren die Extreme. An meinem 30. Geburtstag lief ich aus dem Nichts einen Halbmarathon. Ich hatte seit Jahren nicht mehr trainiert. Natürlich war ich stolz, es geschafft zu haben, aber in der Retrospektive war es einfach nur dumm. Die tagelangen Schmerzen danach waren die Quittung dafür, meine körperlichen Bedürfnisse komplett überrannt zu haben.

Noch lauter wurde der Lärm beim CrossFit. Ich liebte es, an meine Grenzen zu gehen, doch diese Jagd nach Leistung wurde zur Besessenheit. Ich erinnere mich an ein Training, bei dem mir übel und schwindelig wurde. Ich lag nur noch auf dem Boden, völlig am Ende meiner Atmung, und dachte nur: „Hoffentlich hört dieses Gefühl gleich auf.“

Doch ein anderer Gedanke war lauter, ein giftiger Vergleich: „Die anderen nehmen mehr Gewicht. Ich muss auch besser werden.“ Dieser Gedanke, angetrieben durch einen tief verankerten Perfektionismus, ließ mich weitermachen, obwohl mein Körper schrie.

Die Abende danach waren die Hölle. Ich war komplett zerstört, aber mein Körper stand unter Strom. Er war noch voll im Sympathikus, dem Stress- und Leistungsmodus des Nervensystems, und an Schlaf war nicht zu denken. Ich hatte die Technik vernachlässigt und mir den Anfang einer Arthrose im Knie eingehandelt.

Das war die schmerzhafte Wahrheit: Dieses ständige Ignorieren meiner Grenzen war kein Zeichen von Stärke. Es war ein typisches People-Pleaser-Muster, bei dem ich versuchte, einen inneren Kritiker zufriedenzustellen. Es war der verzweifelte Schrei meines Körpers und meiner Seele, die nicht mehr wussten, wie sie sich sonst Gehör verschaffen sollten.

Doch warum tun wir uns das an? Warum lernen wir überhaupt, die wichtigsten Signale unseres Körpers und unserer Seele so konsequent zu verraten?

Symbolische Darstellung einer Person, die ihre eigenen Bedürfnisse erkennt, indem sie den inneren Konflikt zwischen Leistungsdruck und Gefühl überwindet.

Die stillen Ursachen: Warum wir lernen, uns selbst zu verraten

Die Antwort darauf ist keine Anklage, sondern eine Erklärung. Es ist kein persönlicher Fehler, die eigenen Bedürfnisse zu ignorieren. Es ist eine tief erlernte Überlebensstrategie, die wir uns in der Kindheit aneignen, um uns das Wichtigste zu sichern: die Verbindung zu unseren Bezugspersonen.

Als ich zum ersten Mal verstand, woher mein Muster kam, war das ein riesiger Aha-Moment. Es war keine schmerzhafte Einsicht, sondern vor allem eine tiefe Erleichterung. Endlich ergab das ständige Gefühl, für andere funktionieren zu müssen, einen Sinn.

Ich fand die Antwort in dem, was man Bindungs- oder Entwicklungstrauma nennt. Das klingt kompliziert, beschreibt aber eine ganz einfache und tief prägende Erfahrung: Ich lernte, dass die Liebe und Aufmerksamkeit meiner Mutter an eine Bedingung geknüpft war. Wenn sie etwas von mir wollte, musste ich es erfüllen. Punkt.

Tat ich es nicht, spürte ich den Entzug von Zuneigung. Als Kind, das auf diese Verbindung existenziell angewiesen ist, hatte ich keine andere Wahl, als zu gehorchen. Also lernte ich, meine eigenen Bedürfnisse und Impulse zu unterdrücken. Sie wurden zweitrangig, unwichtig, und irgendwann verstummten sie ganz.

Aus diesem tiefen Muster entsteht, was wir heute oft als People Pleasing bezeichnen. Es ist der Versuch, Sicherheit und Zugehörigkeit im Außen zu finden, weil wir verlernt haben, uns diese Sicherheit selbst zu geben.

Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, ist eine Unterscheidung wichtig: die zwischen Bedürfnissen und Wünschen. Wünsche sind spezifisch – ein neues Auto, ein Urlaub. Bedürfnisse sind fundamental – Ruhe, Sicherheit, Nahrung, Verbindung. Wenn wir unsere Bedürfnisse dauerhaft ignorieren, hat das ernste Konsequenzen für unser Wohlbefinden.

Wenn wir dieses Muster aber einmal erkannt haben, wie können wir den Weg zurück zu uns selbst finden? Wie lernen wir, diese leise Stimme unserer Bedürfnisse unter dem Lärm der alten Verpflichtungen wieder zu hören?

Ein stilisierter Kopf, in dem ein Lichtstrahl alte Muster erhellt, symbolisiert das Erkennen der eigenen Bedürfnisse durch Selbsterforschung.

Der Weg zurück zu dir: Konkrete Schritte, um deine Bedürfnisse wieder zu spüren

Wenn du dein ganzes Leben im Leistungsmodus warst, ist die größte Falle, deine Heilung als nächstes Projekt zu sehen, das du perfekt meistern musst. Doch der Weg zurück zu dir ist kein Kampf.

Die Haltung, mit der du diesen Weg beginnst, ist entscheidend. In Veränderungsprozessen setzen wir uns oft extrem unter Druck. Wir wollen so dringend vom Leid weg oder ein Ziel erreichen, dass wir die ganze Sache verbissen und ernsthaft angehen.

Genau hier liegt die Falle. Wir behandeln unsere Heilung wie ein weiteres Projekt, das wir perfekt meistern müssen. Was wäre, wenn du es stattdessen als Spiel betrachtest? Wenn du mit einer spielerischen Neugierde herangehst, verschwindet dieser Druck. Du bist dann in einem Zustand von: „Ich schau mal, was geschieht.“ Alles, was kommt, ist okay.

Schritt 1: Die achtsame Bestandsaufnahme

Bevor du etwas veränderst, nimm einfach nur wahr. Werde zum Beobachter deines eigenen Lebens, ohne zu urteilen. Das ist eine Form von gelebter Achtsamkeit.

Frage dich mehrmals am Tag: Wie fühle ich mich gerade? Wo in meinem Leben überrenne ich mich? In welchen Situationen spüre ich Anspannung, Müdigkeit oder einen leisen Unmut? Schreibe es auf, wenn es dir hilft, aber bewerte es nicht.

Schritt 2: Vom Kopf in den Körper

Deine besten Antworten findest du nicht im Nachdenken, sondern im Fühlen. Dein Körper ist ein unglaublich feinfühliger Kompass, der dir ständig Signale sendet. Du musst nur lernen, ihm wieder zuzuhören.

Halte kurz inne und verlagere deine Aufmerksamkeit von deinen Gedanken auf deine körperlichen Empfindungen. Wo spürst du etwas? Ist es ein Druck in der Brust? Ein Kloß im Hals? Eine Leere im Magen? Lerne, diese Signale als wertvolle Informationen zu betrachten.

Schritt 3: Dein Selbsterforschungs-Experiment

Dies ist der Kern der Veränderung und ein Akt von gelebter Eigenverantwortung. Statt dir starre Regeln aufzuerlegen, beginnst du, mit dir selbst zu experimentieren.

  • Wähle EIN Muster aus: Nimm ein konkretes Verhalten, das du bei dir beobachtet hast. Zum Beispiel das ständige Überarbeiten.
  • Formuliere eine neugierige Frage: „Was passiert eigentlich mit meiner Energie und meiner Laune, wenn ich diese Woche jeden Tag eine Stunde früher aufhöre zu arbeiten?“
  • Beobachte das Ergebnis (ohne Erwartung): Führe das Experiment durch und beobachte, was sich verändert. Vielleicht bist du weniger erschöpft. Vielleicht auch nicht. Beides ist eine wertvolle Erkenntnis über dich selbst.

Dieser spielerische Ansatz nimmt die ganze Ernsthaftigkeit raus und macht die Veränderung zu einer Entdeckungsreise. Und diese Reise ist kein einmaliger Ausflug, sondern eine Einladung, die jeden Tag aufs Neue gilt.

Zwei Hände halten einen leuchtenden Keimling, Symbol für das Erkennen und Pflegen der eigenen Bedürfnisse durch liebevolle Selbsterforschung.

Deine Einladung: Selbsterforschung als tägliche Praxis

Die Transformation führt weg von extremen Leistungen im Außen hin zu einer feinen Wahrnehmung im Innen. Es ist der Weg vom Lärm der Leistung zur leisen Stimme deiner Bedürfnisse.

Das Erkennen deiner Bedürfnisse ist eine Fähigkeit, die du trainieren kannst – jeden Tag, in kleinen Momenten. Es geht nicht um Perfektion, sondern um die Wiederherstellung der Verbindung zu dir selbst.

Diese Verbindung zu ehren, ist der ultimative Akt der Eigenverantwortung und Selbstliebe. Es ist die Basis, auf der du ein Leben aufbauen kannst, das sich wirklich wie deins anfühlt – ein authentisches Leben.

Fazit

Deine eigenen Bedürfnisse zu erkennen, hat nichts mit Egoismus zu tun. Es ist der fundamentalste Akt der Selbstachtung und die Erkenntnis, dass du nicht gegen dich arbeiten musst, um wertvoll zu sein.

Der Weg führt weg vom lauten Lärm der Leistung, der dich lange taub gemacht hat, hin zur leisen, aber klaren Stimme deines inneren Kompasses.

Diese Selbsterforschung ist keine einmalige Aufgabe, sondern eine liebevolle, tägliche Praxis. Das Erkennen ist der erste, entscheidende Schritt. Der nächste ist, für diese Bedürfnisse auch einzustehen und gesunde Grenzen zu ziehen. Wie dir das gelingt, erfährst du in meinem Artikel zum Thema Nein sagen lernen.

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Als Wegbegleiter und Lifecoach mit Bachelor in Psychologie (B.Sc.) unterstütze ich warmherzige People Pleaser und sich selbst sabotierenden Menschen bei ihrem Aufbau eines rundum authentischeren Lebens.

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