Voller Zorn stand ich nun vor ihm.
Am liebsten hätte ich ihm eine reingehauen.
Das hätte aber wenig gebracht, ich, ein kleines Kind, er, ein erwachsener Mann –
mein Vater.
Kontext: Es ist 2006. Meine Eltern haben sich, nach einigen Jahren unterbrochenem Ehestreit vor Gericht endlich geschieden. Auf beiden Seiten war der Hass gegenüber dem Ex-Partner enorm.
Als 13-jähriger war ich es gewohnt, mir jeden Tag anzuhören, was für ein schlechter Mensch mein Vater sei. Mit dieser aufgesogenen Wut besuchte ich dann alle 2 Wochen meinen Vater.
Da stand ich nun, mit rotem Gesicht, Zähne knirschend und angespannten Fäusten.
5 Minuten später: Die zerstörerische Emotion, verflogen.
Mein Vater hat mir seine Sichtweise der Dinge gezeigt.
Der Spieß drehte sich.
Plötzlich war ich auf der Seite meines Vaters. Jetzt nahm ich SEINE Wut auf und wollte sie an meiner Mutter auslassen.
Ich war Postbote von Emotionen, die nicht meine waren. Immer, und immer wieder.
Was ich dadurch gelernt habe: „Egal was du fühlst, es ist falsch“.
Diese Ereignisse haben dazu geführt, dass ich in meinem Leben Konflikten aus dem Weg ging. Mit einem überdurchschnittlich ausgeprägten Sinn für Humor beschwichtigte ich sich anbahnende Streitsituationen. Auf Kosten meiner eigenen Wahrheit, dem, was ich eigentlich wollte oder fühlte, konnte ich so Konflikte frühzeitig abwenden.
Auf einen Blick
- Warum du Konfliktscheue hast, kann mit einer Vielzahl von Erfahrungen in deiner Kindheit zusammenhängen.
- Möglich ist es, dass du dich besonders bedroht gefühlt hast oder deine Wünsche nicht respektiert wurden.
- Weil du Konflikten aus dem Weg gehst, sagst du oft deine Meinung nicht und versuchst, Bedürfnisse anderer in den Vordergrund zu stellen.
Meine persönliche Erfahrung in der Kindheit ist eine von verschiedenen Ursachen, warum konfliktscheue entstehen kann.
Was könnte es bei dir sein?
Vielleicht spürst du eine große Angst oder fühlst dich bedroht, wenn sich Zank und Zoff anbahnen.
Deshalb gehst du ihm aus dem Weg. Vielleicht bist du sehr sensibel gegenüber der Stimmung anderer Menschen und hast deine eigenen Methoden entwickelt, damit umzugehen.
Finde in diesem Artikel heraus, welche Situationen in deiner Kindheit potenzielle Ursachen für deine Konfliktscheue sein können!
Kommen dir folgende Situationen bekannt vor?
Andauernde aufgeladene Stimmung
Deine Eltern konnten sich nicht verzeihen. Die negative Stimmung dauerte einige Tage an, begleitet von Wut, gereizten Reaktionen oder Schweigsamkeit. Einige Konflikte wurden vielleicht nie wirklich gelöst – sondern unter den Teppich gekehrt.
Liebesentzug als Strafe
Deine Liebe war an Bedingungen geknüpft. Meinungsverschiedenheiten führten dazu, dass sich deine Eltern von dir abwandten. Die unbewusste Botschaft war: „Wenn du nicht brav bist, liebe ich dich nicht“. Da jedes gesunde Kind auf die Liebe der Eltern angewiesen ist, hast du gehorcht.
Gewalterfahrungen
Du hast emotionale oder körperliche Gewalt erlebt und dich bedroht gefühlt. Streit bedeutete für dich Angst, Unsicherheit und unberechenbare Bedrohung.
Zu frühe Verantwortung
Weil deine Eltern nicht in der Lage waren, sich selbst um ihre eigenen emotionalen oder physischen Bedürfnisse zu kümmern, süchtig waren oder eine andere psychische Erkrankung hatten, musstest du dich um den Haushalt kümmern. Das nennt man in der Psychologie Parentifizierung. Das bedeutet: Die Rollen waren vertauscht. Du warst der Erwachsene im Haus, nicht deine Eltern. Du musstest ihre Stimmungen regulieren, ihre Konflikte entschärfen oder ihnen emotionalen Halt geben. Das Kind durfte nicht Kind sein. Stattdessen warst du früh gezwungen, Verantwortung zu übernehmen, die nicht deine war.
Fehlende Zuneigung
Deine Meinungen, Wünsche und Gefühle wurden nicht respektiert. Deine Eltern haben deine Bedürfnisse ignoriert, sie kleingeredet und dir zu verstehen gegeben, dass du dich unterordnen sollst.
✨ Erkenntnis
Es geht nicht darum, deine Eltern für ihr Fehlverhalten zu verurteilen. Vielleicht waren sie im Stress, überfordert mit Job, Kindern und Haushalt. Vielleicht haben sie diesen Umgang von ihren eigenen Eltern gelernt und nicht hinterfragt, ob es so, wie sie es machen, korrekt ist.
Es geht darum, wie DU damit Frieden findest und wachsen kannst.
Für dich, für deine Entwicklung und dafür, dass du einen gesunden Umgang mit Konflikten der neuen Generation vorlebst.
Wie du dich heute verhältst
Diese frühen Erfahrungen haben sich tief in dir verankert. Das Verhalten, das du damals brauchtest, um zu überleben, bestimmt nun dein Leben als erwachsene Person:
Du passt dich an, um Streit zu vermeiden. Du hast gelernt, Konflikte als Bedrohung zu sehen. Die sicherste Strategie? Dich unsichtbar machen, zustimmen, anpassen.
Du stellst deine Bedürfnisse hinten an. Das Wohl anderer ist wichtiger als dein eigenes Wohlbefinden. Nicht, weil du so offenherzig bist – sondern als Strategie, Konflikte zu vermeiden. Durch den ständigen Fokus nach Außen hast du verlernt, deinen eigenen Körper zu spüren. Erkennst du deine Bedürfnisse überhaupt noch?
Du bist sehr sensibel für die Gefühle anderer. Du erkennst Stimmungsschwankungen sofort und passt dein Verhalten an, bevor es zu Konflikten kommt. Diese Fähigkeit hat dir früher das Überleben gesichert. Heute kostet sie dich deine Authentizität.
Du versuchst, brav zu sein, um Frieden zu bewahren. Brav sein ist deine Versicherung gegen Ablehnung und Liebesentzug.
Du sagst deine Meinung nicht. Besonders dann nicht, wenn sie anders ist als die der anderen. Das Risiko ist zu groß – du hast Angst vor Ablehnung, weil die Person wütend werden könnte und du glaubst, dass die Beziehung zerbricht.
Wie du mit Konflikten besser umgehen lernst
Dein konfliktscheues Verhalten ist nicht deine Schuld –
es ist eine Überlebensstrategie, die du als Kind gebraucht hast.
Dieses Programm ist heute veraltet. Wenn du einen großen Leidensdruck verspürst, lässt sich daran arbeiten.
Das beginnt mit Verständnis für dich selbst.
1. Als Erstes die Erkenntnis, dass du in Konfliktsituationen auch anders reagieren kannst, Verhalten lässt sich ändern.
2. Im nächsten Schritt geht es darum, diese Muster bewusst zu verändern. Dafür brauchst du klare Schritte, die du in die Umsetzung bringst. Lies dir dafür meine Tipps im Artikel Konfliktfähigkeit durch.




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